FAHNDUNGSPLAKAT Ein Fahndungsplakat war es 1988, das den französischen Autor Bernard-Marie Koltès auf das Thema seines letzten Theaterstückes Roberto Zucco brachte. Gesucht wurde der 26-jährige Roberto Succo, der 1986 aus der psychiatrischen Haftanstalt in Reggio nell’ Emilia ausgebrochen war. 1981 hatte er scheinbar ohne Grund seine Eltern ermordet. In den zwei Jahren nach seiner Flucht beging er zahlreiche Verbrechen in der Schweiz und Italien. Autodiebstähle, Raubüberfälle, Vergewaltigungen und Geiselnahmen gingen auf sein Konto. In Frankreich ermordete er zwei Frauen, einen Arzt und zwei Polizisten. Im Februar 1988 wurde er im italienischen Mestre verhaftet. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch vier Tage später nahm sich Roberto Succo am 23. Mai 1988 in seiner Gefängniszelle in Vicenza das Leben.
MOTIVSUCHE Das Versagen jeglicher sozio-psychologischer Erklärungsmuster für die Mordtaten dieses „höflichen, jungen Mannes“ löste Schrecken und Verunsicherung aus. Der reale Roberto Succo machte kaum Angaben zu seinen Verbrechen, was seine Taten noch verstörender machte. In fünfzehn Szenen entwirft Koltès die fiktiven letzten Stationen dieses Verbrechers – ein französisches Road-Movie, das virtuos mit Formen der Alltagskultur, des Kitsches und des antiken Mythos spielt. In den Blick gerät dabei die Gesellschaft, deren Kind zu werden Roberto Zucco nicht vermocht hat: Menschen, die sich in Schicksalsmuster flüchten und um sich herum Mauern gezogen haben, hinter denen sie sich zu verstecken suchen. Der plötzliche Einfall des Bösen übt eine seltsame Faszination auf sie aus. Roberto Zucco aber zieht weiter, ein Heimatloser, der ohne Absicherung auf eine Suche geht, deren Ziel er selbst noch nicht kennt.
AUSSENSEITER Bernard-Marie Koltès wurde 1941 in Metz geboren. Nach dem Besuch des dortigen Jesuiten-Internats studierte er ab 1967 Journalismus. 1970 begann er, für die Bühne zu schreiben und selbst zu inszenieren. 1976 gelang ihm der internationale Durchbruch mit Die Nacht kurz vor den Wäldern in der Regie von Patrice Chereau, der zu einem wichtigen kreativen Partner für ihn wurde. Es folgten Stücke wie Der Kampf des N****s und der Hunde (1981), Quai West (1985) oder In der Einsamkeit der Baumwollfelder (1987). In seinen Werken beschäftigte sich Koltès mit der Entfremdung in unserer modernen Gesellschaft, der Ausgrenzung des Fremden und Ungewohnten, die er als Homosexueller tagtäglich erlebte, mit Einsamkeit und Tod. Er galt als unbequemer Außenseiter, der der Welt immer wieder den Spiegel vorhielt.
